Dentale Mitbringsel

Wer sich in Polen oder Ungarn die Zähne richten lässt, kann Geld sparen.


Eine gründliche Vorbereitung vermeidet böse Überraschungen


Der Heil- und Kostenplan seines deutschen Zahnarztes trieb Harald Nachtnebel den Blutdruck in die Höhe. 5500 Euro sollte die neue Brücke des 68-Jährigen kosten. Nur einen Bruchteil davon hätte die Kasse übernommen. “Das war mir zu teuer. Also habe ich mich an meinen Computer gesetzt und im Internet nach einer günstigeren Alternative gesucht”, erzählt der Rentner aus Markdorf, einer Kleinstadt im Bodenseekreis. “Ich bin auch schnell fündig geworden und habe mich mit einer Klinik in Ungarn in Verbindung gesetzt. Dort haben sie mich schon am Telefon sehr fachkundig in deutscher Sprache beraten.” Harald Nachtnebel ließ sich von der Praxis, die etwa 60 Kilometer hinter Wien liegt, ebenfalls einen Heil- und Kostenplan erstellen und war positiv überrascht.


“Obwohl sie die gleichen Materialien verwenden wie der Zahnarzt in Deutschland, lagen die Behandlungskosten fast 3000 Euro niedriger”, so Nachtnebel. “Meine Kasse hat der Behandlung dann auch gleich zugestimmt.”


So wie der Baden-Württemberger suchen immer mehr Menschen nach einem günstigen Ausweg, ohne Abstriche an der Qualität. Und sie werden fündig, so wie Rolf-Dieter Kureck aus Stuttgart: “Ich habe mich nach eingehender Recherche für eine Klinik in Polen entschieden. Sie haben mir dort fünf Implantate eingesetzt, und dafür habe ich dann letztendlich mehrere tausend Euro weniger bezahlt als in Deutschland.”


Checkliste

Was bei der Zahnarzt-Auswahl im Ausland zu beachten ist

Web-Seite: Sie sollte alle wichtigen Informationen in deutscher Sprache liefern. Vorsicht bei allzu viel Werbung oder wenn die Klinik neben der Zahnbehandlung Wellness oder Übernachtungen anbietet – im Gegenzug wird vielleicht bei Materialien gespart.
Telefon: Zu den Öffnungszeiten sollte ein deutscher Ansprechpartner erreichbar sein. Eine kompetente und ausführliche Beratung ist das A und O. Gibt es Partnerzahnärzte oder die Möglichkeit einer Nachbehandlung in Deutschland?
Heil- und Kostenplan: Deutsche Kassen zahlen nur, wenn ihnen vorher ein ausführlicher Heil- oder Kostenplan in möglichst deutscher oder auch englischer Sprache vorliegt.
Konformitätserklärung oder Zahnersatzpass: Er hält Material, Marke und Maße fest. Kliniken, die ihn nicht ausstellen, meiden.


Die Reisekosten musste der Angestellte zwar selbst tragen, gelohnt hat es sich trotzdem. Nicht nur finanziell. “Da ich aus der Uckermark stamme, habe ich die Behandlung immer gleich mit einem Besuch bei der Familie verbunden”, erzählt der 58-Jährige, der sein Lächeln wegen der einst fehlenden Zähne nun nicht mehr verstecken muss.


Wie wichtig ein attraktives Lächeln sein kann, zeigen Untersuchungen. Nur drei bis sieben Sekunden dauert es, sich einen ersten und entscheidenden Eindruck von einem Menschen zu machen. Dabei spielen Kleidung, Schuhe und Haltung eine Rolle, besonders wichtig aber sind die Zähne. Strahlend weiß, ebenmäßig, gesund und möglichst vollständig – so soll das Gebiss heute aussehen. Schöne Beißwerkzeuge, das beweisen zahlreiche Umfragen, erhöhen den Erfolg im Beruf und bei der Partnerwahl. Sie stehen für Gesundheit, Vitalität und sogar Intelligenz. Über 80 Prozent der Bundesbürger halten laut einer Emnid- Umfrage schöne Zähne für die attraktivste Visitenkarte eines Menschen.


Doch kaum ein Erwachsener in Deutschland kann ein perfektes Lächeln von Natur aus vorweisen. Laut Deutscher Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde fehlen jedem Bundesbürger über 18 durchschnittlich 2,4 Zähne. Bei den 65- bis 74-Jährigen sind es gar 14,2 Zähne. Doch Zahnersatz ist teuer. Bei Implantaten, Kronen oder Brücken kommen schnell mehrere tausend Euro zusammen, und die gesetzlichen Kassen übernehmen nur einen Bruchteil der Kosten. Bei einer repräsentativen Umfrage der “Apotheken-Umschau” im Jahr 2014 gaben 41,5 Prozent der Befragten an, eine derartige Behandlung nicht bezahlen zu können. Bei 12,1 Prozent der Bundesbürger zeigt sich beim Lächeln deshalb auch die eine oder andere Lücke im Gebiss.


Kliniken in Ungarn und Polen, aber auch in Tschechien und der Türkei werben schon seit vielen Jahren um deutsche Patienten. Das Risiko, dabei an einen Scharlatan zu geraten, hat sich in den letzten Jahren deutlich verringert. Noch im Jahr 2004 sah das ganz anders aus. Eine Untersuchung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherungen in Rheinland-Pfalz konnte nachweisen, dass die Versorgungsqualität von im Ausland vorgenommenen prothetischen Versorgungen, gemessen am deutschen Standard, oft nicht zufriedenstellend war. Seither hat sich einiges getan. “Grundsätzlich können wir heute sagen, dass Zahnersatz im Ausland nicht schlechter sein muss als hierzulande”, sagt Wolfgang Eßer, 61, Vorstandsvorsitzender des kassenzahnärztlichen Bundesverbands (KZBV) mit Sitz in Berlin.


Hinzu kommt, dass einige Kliniken heute sehr gut ausgestattet sind. Das gilt nicht nur für die medizinischen Geräte. Manche Praxen gleichen einem 5-Sterne-Hotel, mit Holzpaneelen und Kronleuchtern inklusive. So wirkt die ungarische Praxis in der Stadt mit dem für Deutsche zungenbrecherischen Namen Mosonmagyaróvár von außen recht unscheinbar. Innen herrscht dagegen edler K.-u.-k.-Barock. “Das Ambiente in der von mir aufgesuchten Klinik ist wirklich sehr schön”, zeigte sich Patient Nachtnebel beeindruckt. “Noch wichtiger war mir aber die professionelle und freundliche Betreuung. Trotz des deutlich günstigeren Preises hatte ich nie das Gefühl, Abstriche machen zu müssen.”


Die Kostenersparnis bei einer Behandlung im Ausland kann bis zu 70 Prozent betragen. Kein Wunder also, dass die Nachfrage steigt. Bisher reisen zwar nur ein Prozent der Versicherten für eine Zahnbehandlung ins Ausland. Bei einer aktuellen Umfrage der Techniker Krankenkasse (TK) gaben allerdings 34 Prozent der dort Versicherten an, sich eine Behandlung im Ausland vorstellen zu können. Die TK hat reagiert und nach eingehender Überprüfung durch zahnärztliche Gutachter Kooperationen mit vier Kliniken in Ungarn und einer Klinik in Polen abgeschlossen. “Wir haben die zahnärztliche Beratungsqualität, die Qualität der zahntechnischen Arbeiten, die Diagnostik, die technische Ausstattung und das Qualitätsmanagement genau unter die Lupe genommen”, sagt Tobias Pahl, 46, von der TK. “So können wir unseren Versicherten eine gewisse Orientierung geben.”


Zufriedenes Lächeln
Harald Nachtnebel, 68

Der Rentner hat die Entscheidung, sich in einer ungarischen Zahnklinik behandeln zu lassen, nicht bereut – obwohl diese 700 Kilometer von seinem Wohnort Markdorf im Bodenseekreis entfernt liegt. “Das Personal war nicht nur sehr nett, auch bei der Behandlung hatte ich stets das Gefühl, dass sie genau wissen, was sie tun”


Vor allem wer in Grenznähe lebt, weiß die finanziellen Vorteile zu schätzen. Man kann nicht nur günstiger tanken, sondern auch bei der Zahnbehandlung viel Geld sparen.


Die AOK-Nordost, zuständig für Versicherte in Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern, hat schon vor längerer Zeit reagiert und eine Kooperation mit einer polnischen Klinik abgeschlossen. “Unser Angebot richtet sich speziell an jene, die im grenznahen Bereich zu Polen leben”, sagt AOK Sprecherin Gabriele Rähse. “Sie erhalten in der von uns zertifizierten Klinik Zahnersatz unter den gleichen Rahmenbedingungen wie in Deutschland, zahlen aber einen geringeren Eigenanteil, da der Zahnersatz in Polen günstiger ist.”


Weiterer Vorteil: Der deutschsprachige Zahnarzt erstellt, wie auch hierzulande üblich, einen Heil- und Kostenplan für den Zahnersatz. Dieser wird an die Krankenkasse übermittelt und bearbeitet. Die Kasse informiert dann ihren Versicherten über den gesetzlichen Festzuschuss, der zum Zahnersatz gezahlt wird. “Die Abrechnung des Festzuschusses erfolgt schließlich direkt zwischen der polnischen Klinik und der AOK”, so Rähse. “Der Versicherte muss nicht, wie sonst bei Behandlungen im Ausland üblich, in Vorleistung treten. Außerdem entfallen die für Auslandsbehandlungen ansonsten üblichen Verwaltungsgebühren.” Auch die TK verfährt so mit ihren Kunden. Versicherte von Kassen, die keine Kooperation mit ausländischen Kliniken unterhalten, müssen hingegen ihre Behandlung zunächst selbst zahlen.


Wer interessiert ist, sollte sich genau nach den Leistungen der jeweiligen Klinik erkundigen. “Wie bei einem deutschen Zahnarzt, der bei Zahnersatz zwei Jahre kostenlos nachbessern oder reparieren muss, ist es ratsam, ein solches Gewährleistungsrecht auch bei einer Auslandsbehandlung zu vereinbaren”, rät KZBV-Chef Eßer. “Zudem sollte man sich nach den verwendeten Materialien erkundigen. Die Qualität und die Langlebigkeit sollten durch Studien nachgewiesen sein.” Deshalb ist es wichtig, auf eine sogenannte Konformitätserklärung zu pochen. In ihr wird festgehalten, welche Materialien für Kronen, Brücken und Implantate verwendet werden.


Der aber wohl wichtigste Punkt: Vor der Behandlung muss jeder Versicherte den Kostenvoranschlag in deutscher oderenglischer Sprache bei seiner Krankenkasse einreichen. Geschieht dies nicht, kann sie die Zahlung erfolgreich verweigern. Auf weitere Kriterien, die für oder gegen eine Behandlung im Ausland sprechen, weist André Schulze-Wethmar, 37, vom Europäischen Verbraucherzentrum in Kehl hin: “Jeder sollte ausrechnen, wie hoch die Reisekosten sind und ob Urlaubstage anfallen. Außerdem ist es ratsam, in der Klinik anzurufen. Denn gerade bei medizinischen Behandlungen ist es wichtig, dass man seinen Arzt gut versteht. Die Mitarbeiter sollten also unbedingt Deutsch sprechen.”


Etwas komplizierter wird es, wenn bei der Behandlung etwas schiefläuft. Generell hat zwar jeder Patient überall in der EU Anspruch auf eine kostenfreie Nachbehandlung, aber zunächst einmal nur bei dem Arzt, der den Eingriff vorgenommen hat – wofür wieder Reisekosten anfallen. “Bei einem Notfall sieht das glücklicherweise anders aus, denn dann kann man zum nächstgelegenen deutschen Arzt gehen”, sagt der Kehler Experte. “Die Krankenkassen übernehmen die Kosten zu den üblichen Sätzen.” Umgehen ließe sich Reiseaufwand, wenn der ausländische Arzt für die Nachsorge oder die Gewährleistung mit einem deutschen Kollegen kooperiert. “Nur selten passt Zahnersatz auf Anhieb, und da kann es sich lohnen, einen Arzt zu haben, der leicht und schnell erreichbar ist”, sagt Rüdiger Scharf, 53, von der DAK.


Richtig problematisch wird es bei Pfusch. In Deutschland gibt es für diese Fälle Schlichtungskommissionen, die unabhängige Gutachter einsetzen. Bei einer eventuellen Klage hingegen ist das Land Gerichtsstand, in dem die Behandlung durchgeführt wurde. Und nicht in jedem Land ist es so, dass der Verlierer die Verfahrenskosten trägt.


Fazit: Wer die wichtigsten Punkte (siehe Kasten) bei der Auswahl einer ausländischen Zahnklinik beachtet, kann ohne Qualitätseinbußen viel Geld sparen. Harald Nachtnebel jedenfalls ist hochzufrieden: “Ich kann mich nicht erinnern, in Deutschland jemals so nett und zuvorkommend von Ärzten und Personal behandelt worden zu sein. Ich würde jederzeit wieder die ungarische Klinik aufsuchen.”


Thorsten Dargatz – Focus-Gesundheit